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Im August 2011 zeichnete sich ab, dass sich mein Leben einmal mehr grundlegend ändern würde. Wohin das alles führen sollte, war mir nicht einmal im Ansatz bewusst – letztlich führte es zu dem, wo ich heute bin: Dauerhaft in der Schweiz als Doppelbürger lebend, die Freiberuflichkeit gegen eine Anstellung eingetauscht. Zu jenem Zeitpunkt aber war mir das alles nicht klar und ich war an einem Punkt angelangt, an welchem ich mir selbst ein Zwangskontrastprogramm verordnete. Ich musste raus, Abstand zu allem gewinnen, zu mir selbst kommen – und mir meiner Wurzeln wieder gewahr werden um nicht zu vergessen, wer ich bin. Recht unkoordiniert wählte ich ein Ziel in der Nähe von Berlin (wo ich auch in diesem Zusammenhang eine recht gewichtige Sache zu klären hatte), nahe bei Angermünde: Den Parsteiner See. Während der Deutschen Teilung konnte ich solche Gebiete nicht entdecken, erst nach dem Fall der Mauer war es möglich, auch länger dort hin zu fahren, was vorher die DDR war. Ich schwang mich – und das war eine Premiere für mich – auf mein beladenes Motorrad. Ich hatte Dinge zusammengestellt, die ich für einen Zelturlaub mit Motorrad zu brauchen meinte und fuhr los. Einfach so. Von jetzt auf gleich. Vor Ort landete ich dann auf einem Campingplatz, der in nichts mit dem zu vergleichen war, was ich bisher von solchen Plätzen kannte, alles war noch reinster DDR-Charme, lediglich eine Döner-Bude wies darauf hin, dass auch hier die Zeit des innerdeutschen Wandels angekommen war. Man beäugte mich sehr kritisch. Ein Schweizer Nummernschild? Hier? In dieser vergessen anmutenden Ecke, diesem Nirgendwo im Ostdeutschen Nirgendwo? Zwei kurze Sätze mit Berliner Schnauze beendeten das Misstrauen schlagartig und ich wurde Teil jener höchst eigenwilligen Sorte von Mensch, die das Camping als das Höchste der Gefühle für sich auserkoren hatte. Ich war einer „von Ihnen“, auch wenn ich weit entfernt lebte.
Der Platz lag direkt am See, eine typische Pfütze dieser Gegend: Gross, aber so flach, dass man auch hier sehr weit in den See rennen musste, um überhaupt mal Wasser im Bauchbereich zu spüren, aber egal. Ein See, in den man zu jeder Tages- und Nachtzeit springen konnte. Zelt aufmachen und los gehts! Herrlich! Die Bewohner jenes Platzes bildeten mein ganz persönliches TV-Programm, stundenlang beobachtete ich sie mit ihren Eigenheiten und niemand störte sich daran. Sie beobachteten auch mich. Soweit sie überhaupt etwas von mir zu sehen bekamen, denn ich erkundete die Gegend um mich herum, über die ich vorab einiges in Erfahrung gebracht hatte. Das wunderschöne Kloster Chorin lag nicht weit entfernt, ein wunderschöner Kirchenbau aus jenem roten Klinkerstein, der in der grünen Umgebung herrlich vor sich hin leuchtet. In Brandenburg steht ein ähnliches Gebäude, in welchem ich Jahre zuvor das Brahms-Requiem mit aufführen durfte. Die Akustik in jenen aus Klinker gebauten Kirchen ist einzigartig warm und schön! So wunderte es mich auch nicht, dass in jenem Kloster alles „warm“ und „sonnig“ wirkte, sogar der Friedhof! An manchen Tagen lief ich zu Fuss die nähere Umgebung um den See ab. Wunderschöne, nicht gepflegte und somit wild wachsende Wälder mit entsprechender Ufervegetation in einem leicht hügeligen Gelände, in welchem mir niemand über den Weg lief gaben mir die Möglichkeit, meinen Gedanken freien Lauf zu lassen, diese zu ordnen und einige Entscheidungen zu treffen. Eine davon war, meine Wurzeln nie zu vergessen, aber auch nie da hin zurück zu kehren, wo ich einst her gekommen war. Dort entschloss ich mich, meine weiteren Wege in der Schweiz zu gehen.
Mit dem Motorrad erkundete ich die weiter entfernt gelegene Umgebung. In Niederfinow begutachtete ich das Schiffshebewerk, eine Art Fahrstuhl für Lastkähne und Schiffe, eine Meisterleistung der Ingenieurskunst. Ich streunte in den wunderschönen Auen des Oderbruchs herum, lauschte den zahlreichen Vogelstimmen, bestaunte mir bis dahin vollkommen unbekannte Wiesenblumen. Mir fiel es schwer zu glauben, dass nicht weit entfernt von hier bei den Seelower Höhen in einem vergleichbar schönen Gebiet sich kurz vor Ende des zweiten Weltkrieges die Deutschen und Russen die letzte grosse, mörderische Schlacht geliefert hatten, das wollte einfach nicht in das Bild passen, welches ich vom Oderbruch mit nahm! Aber so ist das nun einmal mit Deutschland: In diesem Land trifft man auf Gegenden, die aus historischer Sicht bis zum heutigen Tage Leben und Politik bestimmen. Die nahe gelegene Schorfheide, ein riesiges Mischwaldgebiet, ist dafür ein gutes Beispiel: Zu den Zeiten der Kaiser wurde hier intensiv gejagt – und am Rande Politik gemacht. Die Nationalsozialisten übernahmen dieses Prinzip nahtlos, der fette Göring, Generalfeldmarschall und Kommandeur der „Luftwaffe“ hatte nichts besseres zu tun, als mitten in diesem schönen Waldgebiet seine Vorstellung von nationalsozialistischer Jagdkultur Wahrheit werden zu lassen. Hier liess er sein Jagdschloss „Carinhall“ bauen, benannt nach seiner Frau Carin. Ein typischer Bau des Dritten Reiches, in welchem er vor allem die Kunstwerke hortete, die er in eroberten Ländern requirierte. Kurz vor Einmarsch der Russen liess er das Anwesen sprengen, lediglich die zwei Wachposten, der Zufahrtsweg und die besonderen Bäume, die er an jenem pflanzen liess, sind noch erhalten – aber bis ich jene Überreste von Carinhall überhaupt gefunden hatte! Ich hatte vorab genau recherchiert, viele Karten studiert und auch in etwa die Gegend eingegrenzt, aber nirgendwo fanden sich genaue Hinweise! Aus gutem Grunde waren bestimmte Institutionen darauf bedacht, aus jenen Überresten der dunklen Zeit Deutschlands keinen Wallfahrtsort für Neonazis werden zu lassen, sogar Einheimische wiesen allenfalls in eine grobe Richtung – aber mehr auch nicht. So fuhr ich sicherlich fünf Mal an dem ehemaligen Anwesen vorbei, bis ich durch blanken Zufall dann doch noch darauf stiess. Und nein, ich werde nicht genauer beschreiben, wo Carinhall liegt! Aber auch die Staatsführung der DDR unter Erich Honecker liess es sich in der Schorfheide gut gehen. War das Treiben der Nationalsozialisten in dieser Gegend schon jenseitig, so war das der Staatsführung des real existierenden Sozialmus vollkommen absurd: Sie bauten sich hier inmitten jenes Waldgebietes sogar Atomschutzbunker! Dankenswerter Weise wurden die nie genutzt (ausser zum Anschauen von Porno-Filmen, die entweder mit Devisen im Westen gekauft oder aber in der DDR selbst produziert worden waren). Ansonsten pflegte auch jene Staatsführung hier zu jagen. Sehr sozialistisch, nicht wahr?
In dieser Gegend bin ich auf einige Merkwürdigkeiten gestossen, ein alter Wehrturm mit nur einem Eingang und auch nur einem Fenster und das „Schweizer Haus“ bei Stolpe sollen nur als Beispiele genannt werden. Ich fuhr manchmal über Stunden hinweg, ohne auch nur ein einziges anderes Fahrzeug oder auch „nur“ einem Menschen dabei begegnet zu sein. Damals war hier wirklich kaum noch Leben, zahlreiche verfallene Häuser aus allen erdenklichen Zeiten standen am am Wegesrand, wer konnte, wollte hier nur noch weg. So verwundert es auch nicht, dass mich auf dem Campingplatz einige weitaus jüngere fragten, wie es denn in der Schweiz so sei. „Zumindest gibt es dort bessere Strassen!“ erwiderte ich. Ich spürte meine Knochen gut, obwohl mein Motorrad gut gefedert ist und ich freute mich, dass der Grossteil meiner Ausstattung, die ich zu jenem See geschleift hatte, das leistete, was ich suchte: Ruhe und Erholung. Die Tage am Parsteiner See sind mir bis zum heutigen Tage in besonderer Erinnerung geblieben. Diese Umgebung hat mir seinerzeit sehr dabei geholfen, wieder zur Ruhe zu kommen und den höchst unruhigen Zeiten, die folgen sollten (und dann auch sind), gefasster zu begegnen. Sehr bald mache ich mich auf eine weitere Reise dieser Art, nunmehr aber nicht zurück zu meinen Wurzeln, sondern zu einem anderen Ort, der mir sehr, sehr wichtig war und ist. Auch dort wird sich für mich entscheiden, wie was weiter gehen wird. Aber dazu – dem anderen Ort – mehr zu gegebener Zeit.